Im Gefecht

Fünf Kilo TNT, die explodieren, sind laut, sehr laut. Die Kugeln von Scharfschützen, die weniger als einen halben Meter an einem vorbei schießen, sind zu hören. Ein mulmiges Gefühl in der Magengegend bleibt beim Verlassen der Schießübungsplatzes, stand man doch zwei Stunden lang im Getöse von Sprengungen und Maschinengewehrsalven.

Tag drei des Journalistentrainings bei der Bundeswehr: Der Tag ist voll gepackt mit Seminareinheiten und Ausfahrten, unter anderem auf das Feld für Schießübungen. Der für einen Journalisten ungewohnte Tagesablauf – 6.00 Uhr aufstehen, Fußmarsch zum Speisesaal, frühstücken, 7.30 Uhr im Seminarraum antreten und abends bei 21.00 Uhr in Übungen und Gesprächen – verlangt seinen Tribut: Fürs Bloggen bleibt keine Zeit, oder am späten Abend ist die Müdigkeit stärken als die Schreiblust. Deshalb kommt der Bericht von Tag drei verspätet.

Fünf Kilogramm Sprengstoff erzeugen bei der Zündung einen lauten Knall. Sogar aus einigen hundert Metern Entfernung hört man am besten mit Ohrstöpseln zu. Richtig laut wird es im Sprenggraben nur geschätzte 20 Meter vom Explosionsort entfernt. Dort hocken wir, 16 Journalisten. Der Sprengmeister zählt rückwärts, dann knallt’s. Er fängt seine Vorführung mit läppischen 20 Gramm Sprengladung an. Durch den Gehörschutz klingt das wie Silvesterböller. Doch der Sprengmeister erhöht schnell die Ladungen, 100 Gramm, 500 Gramm, zwei Kilo und schließlich fünf Kilo.

Mit jeder Steigerung wird der Knall lauter (logisch), hinzu kommt eine wabernde Druckwelle, die auch den Schutzgraben fegt. Deshalb ist es verboten, sie an die Wände anzulehnen, man könnte dagegen geschlagen werden. Keine leichte Übung, sich nicht anzulehnen, schließlich sind die Betonwände des Sicherheitsgangs kaum mehr als schulterbreit voneinander entfernt. Und zweite Anweisung: Mund leicht geöffnet halten, um den Druck innerhalb und außerhalb des eigenen Körpers schnell auszugleichen. Wäre die Sprengladung eingegraben worden, würde übrigens durch die Deckenöffnungen in Erd- und Steinregen in den Sicherheitsgang fallen. Das bleibt uns aber erspart.

Teil zwei der Vorführung findet am so genannten Beobachtungspunkt 2 statt. Genau genommen ist das ein dreieckiges Areal – jede Seite etwa 20 Meter lang – das mit weißen Absperrbändern in der Mitte einer mehr als einen Kilometer langen Wiese abgetrennt ist. Kaum angekommen, gibt der Übungsleiter das Kommando: Feuer frei. Bei einem Treffer böten uns Splitterschutzweste und Teflon-Helm keinen Schutz: die Geschosse aus Kalaschnikow, Scharfschützengewehr und Panzerfaust bahnen sich ihrer Weg, sogar durch 30 Zentimeter dicke Baumstämme und Ziegelmauern hindurch.

Wir stehen mitten auf dem Feld. Die Kugeln fliegen durch die Luft. Ein kleines Geschoss erzeugt ein leises Sirren, fast Pfeifen, wenn es vorbeischnellt. Etwa 50 Meter neben uns oder 20 Meter hoch über unseren Köpfen, klärt der Übungsleiter auf. Beruhigend ist diese Auskunft nicht. Was wäre, wenn einer der Scharfschützen einen schlechten Tag hat oder ihm aus Versehen ein kapitaler Fehler unterläuft?

Dennoch spitzen wir die Ohren: Versuchen Knalltöne zu unterscheiden. Denn der dumpfe Mündungsknall vom Abfeuern soll ur gut zu hören sein, wenn auch in unsere Richtung geschossen wird. Sonst kommen nur der hellere Geschossknall an. Bei Einzelschüssen mag das noch zu trennen sein, wenn aber aus einem Maschinengewehr 150 Schuss binnen weniger Sekunden abgegeben werden, dann bleibt nur ein lautes Geknatter. Auch wenn wir heraushören sollen, dass zwar Geschosse durch die Luft fliegen, wir aber beruhigt aufrecht stehen bleiben könnten, da wir angeblich sowieso nicht ins Visier genommen wurden – am Ende bleibt Erleichterung, dass wir Beobachtungspunkt 2 – auf dem man sich wie Freiwild fühlt – wieder verlassen können.

Auf dem Weg aus dem Schießfeld heraus sehen wir noch die abgesengten Grashalme – dort, wo die Panzerfaust abgefeuert wurde. Hatte die nicht ein Mensch auf der Schulter? Es sei nur gefährlich, davor oder dahinter zu stehen. Solange die Waffe auf der Schulter ruht, keine Gefahr. Die Schützen präsentieren ihre Gewehre, einer der Scharfschützen noch seinen selbst gebastelten Tarnumhang. Gräser eigenhändig in ein Netz geflochten und damit bislang im Einsatz unentdeckt. Na gut.

Fazit: Auf dem Gefechtsfeld möchte ich auch dann nicht bleiben, wenn hundert Meter an mir vorbei gezielt wird.

Und so geht’s weiter: Am Nachmittag steht eine Fahrt durch Kontrollpunkte auf dem Programm, wo die Rollenspielergruppe des Bundeswehrausbildungszentrums einige Überraschungen vorbereitet haben soll.

Alle Folgen:

Folge 1: Kleines Kriegs-Tagebuch
Folge 2: Hammelburg
Folge 3: Eingerückt
Folge 4: Ein Schuss und eine Granate
Folge 5: Nord gegen Süd
Folge 6: Betreten
Folge 7: Auftrag und Bearbeitung
Folge 8: Im Gefecht
Folge 9: Gewehrmündung im Gesicht
Folge 10: Auftrag und Ideologie
Folge 11: Entführung
Folge 12: Aus Schaden wird man klug

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