Aus Schaden wird man klug

Sei wachsam, vertraue niemandem blind. Das ist eine Lehre, die ich vom Bundeswehr-Seminar für Journalisten, die aus Krisenregionen berichten, mitnehme. Würde ich nochmals in solche Extrem-Situationen kommen, würde ich mit vielen Alltags-Gepflogenheiten brechen.

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Nie ins Auto steigen und losfahren. Überall könnte ein Sprengkörper versteckt worden sein, wenn der Wagen nicht dauerhaft bewacht wurde. Unter der Motorhaube, im Radkasten, im Handschuhfach. Und vor dem Starten immer checken, ob alle Türen – auch der Kofferraum – verschlossen ist.

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Alles, was nicht auf Anhieb logisch ist, hinterfragen. Warum ist eine Straße gesperrt, die abseits der als vermint ausgewiesenen Gebiete liegt – und dann auch noch wegen angeblich umgestürzter Bäume. Bauarbeiter und ein großes Umleitungsschild sind keine Gewähr dafür, dass das tatsächlich so ist. Wir sind dadurch den Geiselnehmern entgegen gefahren.

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Sich nicht fotografieren lassen. Besonders perfide war, dass wir nach der Schießübung, als wir die Waffen auf mal in der Hand nehmen durften, fotografiert wurden. Diese Bilder waren auf ominösem Weg an die Entführer gelangt. Einige von uns hatten im Verhör deshalb größte Erklärungsnöte.

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Niemandem trauen. Das ist eine weitere Folge aus der Fotogeschichte. Und für mich auch ein deutlicher Haken im Szenario, in das wir in Hammelburg eingeführt wurden. Wenn wir von vermeintlichen Militärangehörigen im Beisein unseres deutschen Übungsleiters aufgenommen werden und auch er nicht protestiert, gehe ich davon aus, dass die Fotografien der internen Dokumentation des Lehrgangs dienen. Wenn diese Bilder später Entführern vorliegen, ist das nur auf ein gigantisches Sicherheitsleck bei der Bundeswehr (im Szenario: das Germen Bataillon, kurz: GerBat) zurückzuführen, das aus journalistischer Sicht der Skandalisierung bedarf, die hiermit auch erfolgt. Eskortiert von einer Truppe, aus der interne Dokumente – ohne dass irgendein Major einschreitet – an Kriminelle gelangen, hat nicht mein Vertrauen, wenn sie mich durch ein Krisengebiet eskortiert. Verwundert bin ich, dass die Bundeswehr dieses Sicherheitsmanko selbst in das Übungsszenarioeingebaut hat und damit in meinen Augen selbst die eigene Leistung und Kompetenz schmälert.

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Auch mal “Nein” sagen. In der Realität wäre ich nicht in den Reisebus gestiegen, der uns quasi zu den Geiselnehmern brachte. Das war mir schon während der Übung klar. Denn auch hier war eine Sicherheitslücke Teil des Szenarios. Es gab vor der Abfahrt Lagepapiere, die auf die zunehmend angespannte Situation hinwiesen, dass es angeblich verstärkt Übergriffe auf die alliierten Truppen gab. Dennoch wurde – und das erst auf Nachfrage – mitgeteilt, dass der Reisebus, in dem alle anwesenden Journalisten versammelt wurden, ohne jeglichen Begleitschutz auf Tour geht. Absolut leichtsinnig, ein Reisebus mit 16 westlichen Journalisten ist dann Freiwild für alle Kriminellen in den Krisenregionen dieser Welt. In der Übung bin ich nur eingestiegen, weil ich andernfalls einen kompletten Tag des Übungsprogramms hätte auslassen müssen und nichts hätte lernen können. Absurd, nur etwas über Krisenberichterstattung erfahren zu können, wenn man sich sehenden Auges auf ein ungewisses Abenteuer begibt.

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Nichts anfassen. Wir haben auch ein Haus des Schreckens besichtigt. Wer es darauf anlegt, mich in ein Haus zu locken und dort verenden zu lassen, hat leichtes Spiel. 10 perfide Möglichkeiten, jemanden mit Sprengkörpern umzubringen:
1. eine Lichtschranke auf der Treppe,
2. ein Stolperdraht auf dem Absatz,
3. ein Läufer auf dem kahlen Boden, darunter ein Tretkontakt,
4. eine lockere Dielenbohle, die auf einer Handgarante aufliegt,
5. eine Mappe, die vermeintlich mit Landkarten gefüllt ist, und einen Kontakt beim Aufklappen auslöst,
6. ein Sofakissen, das zum Hinsetzen animiert, aber doch nur den Auslöser verdeckt,
7. ein halb geöffneter Schrank, in dem es beim Bewegen der Tür knallt,
8. ein Kugelschreiber, der beim Drücken sich auf den Kopf als Mini-Bombe entpuppt (gibt’s nicht nur bei James Bond)
9. eine gefüllte Zigarettenschachtel auf dem Tisch, die nicht nur Tabak, sondern auch Sprengstoff enthält,
10. ein schief hängendes Bild, das beim Geraderücken einen Kontakt auslöst.
Grauenvoll.

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Viel gelernt, deshalb gab’s zum Abschluss noch eine Urkunde von der Bundeswehr – mit Gruppenfoto vor dem Stein der Infanterie (diesmal garantiert nicht an Entführer weitergegeben). Eine Bestätigung der Teilnahme am Seminar für Journalisten “Schutz und Verhalten in Krisenregionen”. Dann öffnete sich für uns ein letztes Mal das Kasernentor, die Außenwelt hat uns wieder, die Parallelwelt bleibt zurück.

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Ich war übrigens nicht der einzige Blogger beim Bundeswehr-Seminar. Auch der Malte hat seine Eindrücke aufgeschrieben.

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Alle Folgen im Überblick:

Folge 1: Kleines Kriegs-Tagebuch
Folge 2: Hammelburg
Folge 3: Eingerückt
Folge 4: Ein Schuss und eine Granate
Folge 5: Nord gegen Süd
Folge 6: Betreten
Folge 7: Auftrag und Bearbeitung
Folge 8: Im Gefecht
Folge 9: Gewehrmündung im Gesicht
Folge 10: Auftrag und Ideologie
Folge 11: Entführung
Folge 12: Aus Schaden wird man klug

Dieser Beitrag ist zuerst im Blog Vanity Care erschienen.

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